Autor: Klaus Schnaible

  • Hat Luther wirklich die Bibel als erster ins Deutsche übersetzt

    Hat Luther wirklich die Bibel als erster ins Deutsche übersetzt

    Oder: doch nicht?
    Aus der Rubrik „Na da schau mal her!“

    Beim Lesen eines älteren archivarischen Buchs – Johann Anton Theiners „Die katholische Kirche besonders in Schlesien in ihren Gebrechen dargestellt“ (1827) – bin ich über einen Satz gestolpert, der mich aufhorchen ließ.

    Johann Anton Theiner war katholischer Geistlicher, Theologe und Historiker, der später mit der Kirche brach und sich den Deutsch-Katholiken anschloss. Sein Bruder Augustin, der zuletzt das Vatikanische Geheimarchiv leitete, hatte tiefen Zugang zu Quellen. Diese Expertise merkt man den Werken der beiden deutlich an.

    In J.A. Theiners Buch bin ich auf folgenden Absatz gestoßen:

    „… auch gab es schon andere Übersetzungen der Evangelien. Malafried Strabo, Benediktiner Abt auf der Insel Reichenau um das Jahr 900 berichtet, die Gothen hätten gleich anfangs ihrer Bekehrung um 400 schon die Bücher in die Alt-Deutsche Sprache übersetzt, wovon zu seiner Zeit noch Exemplare da waren.“

    Und da wurde ich hellhörig:

    War nicht Luther derjenige, dem wir die deutsche Bibel verdanken? Offensichtlich stimmt das so nicht – also musste ich nachforschen.

    Bei der gothischen Bibel geht es erst einmal um die Bibel des Wulfila (Ulfilas), entstanden um 350/380 u.Z. Wulfila war Bischof der Westgoten und schuf für seine Bibel sogar eine eigene Schrift, die gotische Schrift.
    Ob man die gotische Sprache bereits als ‚deutsch‘ bezeichnen darf, darüber lässt sich streiten – ein früher Verwandter war sie in jedem Fall.

    Tatsächlich existierten vor Luther mindestens 18 weitgehende deutsche Bibelübersetzungen sowie zahlreiche Teilübersetzungen. Sie reichen von althochdeutschen Evangelientexten über mittelhochdeutsche Bibelwerke bis zu 14 gedruckten vollständigen Bibeln zwischen 1466 und 1522.

    Ein Grund, warum die vielen vorlutherischen deutschen Bibeln kaum Wirkung entfalteten: Sie waren fast ausschließlich für Kleriker bestimmt. Seit dem 13. Jahrhundert war der Besitz und das Lesen der Bibel in deutscher Sprache für Laien durch mehrere Konzilsbeschlüsse stark eingeschränkt oder verboten (z. B. Konzil von Toulouse 1229).

    Aber was macht dann das Werk von Luther so bedeutend und anders? Was hebt ihn ab von den vorherigen Übersetzern.

    Nun erstmal die Quelle. Die vorherigen deutschen Übersetzungen basierten alle auf der Vulgata, der ersten lateinischen Fassung der Evangelien, zusammengestellt im Auftrag von Papst Damasus I. von Hieronymus ab 382. Eine außerordentliche Leistung, musste er doch aus vielen unterschiedlichen Fassungen der Evangelien, die sich teils auch noch widersprachen, auswählen. Schließlich gab es ganz unterschiedliche Texttraditionen in den verschiedenen Kirchen.

    Nicht nur das er auswählen musste, welche Texte und Evangelien denn nun in die erste gesammelte Fassung aufgenommen werden sollten, er nahm selbst auch noch viele Glättungen und Anpassungen vor, siehe Zitat am Ende (1).
    Was Hieronymus nicht in die definierte kirchliche Fassung übernahm, wurde später – je nach Tradition – als apokryph oder deuterokanonisch bezeichnet – eine ganze Menge, die es nicht in die Vulgata geschafft hat.

    Aber warum hatte schon Hieronymus nicht einfach den Originaltext der Evangelien verwendet? Ganz einfach – weil es keinen Originaltext gab und gibt. Unser ältestes vorhandene Stück Originalmanuskript mit einem Bibeltext ist das scheckkarten-große Manuskript-Schnipsel P52, und das ist nach neuesten Schätzungen aus der Mitte des 3. Jahrhunderts. Alle anderen überlieferten Texte sind noch jünger.

    Davor gibt es nichts. Entweder, weil die Überlieferungen lange mündlich weitergetragen wurden, oder die entsprechenden Manuskripte sind schlicht verloren gegangen.

    Und die vielen Fassungen? Nun, keiner in der frühen Kirche wollte „Geschichtsschreibung“ im heutigen Sinne betreiben – es ging um Glauben und Theologie. Darüberhinaus mussten die wenigen vorhandenen Texte jedes Mal von Hand entweder abgeschrieben oder aus dem Gedächtnis neu verfasst werden.

    Dabei gab es viele theologische Unterschiede in den Gemeinden. Gerade in der Frühzeit der Kirche. Streit um die richtige Deutung der Überlieferungen war an der Tagesordnung, was sich dann in den Texten, die teils als „Kampfschriften“ fungierten, auch niederschlug.

    Was dann auch der Grund dafür war, dass Papst Damasus I. Hieronymus den Auftrag gab, eine vereinheitlichte kirchlich autorisierte Fassung der Evangelien zusammenzustellen.

    Und nun Luther?

    Luther selbst griff auf den griechischen Text des Erasmus (1516) für das Neue Testament sowie eine hebräische Fassung für das Alte Testament zurück.

    Natürlich waren auch diese Fassungen schon Konstrukte aus verschiedenen Vorläufertexten, also lag hier schon eine Auswahl mit Anpassungen vor. Dies war Luther durchaus bewusst. Auch Luther selbst griff dann und wann in die Texte ein, und erschuf so in Teilen seine eigene theologische Fassung, die nicht immer durch die ihm vorliegende Textfassungen begründet war und eben auch seine Theologie stützen sollte (2).

    Luthers eigentliche Leistung bestand nicht darin, dass er die Bibel „als erster“ übersetzte – das tat er keineswegs –, sondern darin, dass er sie aus den Ursprache-Texten neu übersetzte und dabei ein verständliches, einheitliches Deutsch schuf.
    Damit wurde seine Bibel zum Ausgangspunkt der neuhochdeutschen Schriftsprache und zugleich zur ersten wirklich weit verbreiteten Volksbibel.

    Luther war daher der erste, dessen Bibelübersetzung breitenwirksam unter das Volk gelangte – und das in einer Zeit, in der der Buchdruck Massenverbreitung überhaupt erst möglich machte.

    Das ist die eigentliche Leistung Luthers.

    Nachsatz

    Durch die vielen Funde der letzten 200-300 Jahre kennen wir heute alleine 5.800 verschiedene griechische Textfassungen des Neuen Testaments, von lateinischen, koptischen, aramäischen, syrischen, armenischen usw. gar nicht zu sprechen. Die kommen noch oben drauf.

    Und eine letzte spannende Frage:
    Wenn die älteste germanische Bibel auf einem griechischen Text beruht, der älter ist als die Vulgata — wer steht dann eigentlich näher am Urtext? Hieronymus oder Wulfila?

    (1) Aus dem Brief, den Hieronymus an Papst Damasus I. schrieb, nachdem der Kirchenlehrer die Überarbeitung der vier Evangelien des Neuen Testaments abgeschlossen hatte:
    „Du zwingst mich, ein neues Werk aus einem alten zu schaffen, gleichsam als Schiedsrichter zu fungieren über Bibelexemplare, nachdem diese [seit langem] in aller Welt verbreitet sind, und, wo sie voneinander abweichen, zu entscheiden, welche mit dem authentischen griechischen Text übereinstimmen. Es ist ein Unterfangen, das ebenso viel liebevolle Hingabe verlangt, wie es gefährlich und vermessen ist; über die anderen zu urteilen und dabei selbst dem Urteil aller zu unterliegen; in die Sprache eines Greises ändernd einzugreifen und eine bereits altersgraue Welt in die Tage ihrer ersten Kindheit zurückzuversetzen.
    Wird sich auch nur einer finden, sei er gelehrt oder ungelehrt, der mich nicht, sobald er diesen Band [die Überarbeitung der Evangelien] in die Hand nimmt und feststellt, dass das, was er hier liest, nicht in allem den Geschmack dessen trifft, was er einmal in sich aufgenommen hat, lauthals einen Fälscher und Religionsfrevler schilt, weil ich die Kühnheit besaß, einiges in den alten Büchern zuzufügen, abzuändern oder zu verbessern?
    Zwei Überlegungen sind es indes, die mich trösten und dieses Odium auf mich nehmen lassen: zum einen, dass du, der an Rang allen anderen überlegene Bischof, mich dies zu tun heißest; zum anderen, dass, wie auch meine Verleumder bestätigen müssen, in differierenden Lesarten schwerlich die Wahrheit anzutreffen ist.
    Wenn nämlich auf die lateinischen Texte Verlass sein soll, dann mögen sie bitte sagen: Welchen? Gibt es doch beinahe so viele Textformen, wie es Abschriften gibt. Soll aber die zutreffende Textform aus einem Vergleich mehrerer ermittelt werden, warum dann nicht gleich auf das griechische Original zurückgehen und danach all die Fehler verbessern, ob sie nun auf unzuverlässige Übersetzer zurückgehen, ob es sich bei ihnen um Verschlimmbesserungen wagehalsiger, aber inkompetenter Textkritiker oder aber einfach um Zusätze und Änderungen unaufmerksamer Abschreiber handelt? … Ich spreche nun vom Neuen Testament: … Matthäus, Markus, Lukas, Johannes; sie sind von uns nach dem Vergleich mit griechischen Handschriften – freilich alten! – überarbeitet worden.
    Um jedoch allzu große Abweichungen von dem lateinischen Wortlaut, wie man ihn aus den Lesungen gewohnt ist, zu vermeiden, haben wir unsere Feder im Zaum gehalten und nur dort verbessert, wo sich Änderungen des Sinns zu ergeben schienen, während wir alles übrige so durchgehen ließen, wie es war.“

    (Vorrede zum Neuen Testament; zit. nach A. M. Ritter, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Bd. 1 – Alte Kirche, 1. Auflage 1977, S. 181 f.; im Original bei J. P. Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca (MPG) 29, Sp. 525 ff.)

    (2) Römer 3,28: „… der Mensch gerecht werde allein durch den Glauben“.
    Das Wort „allein“ steht in keinem griechischen Manuskript. Es war eine theologische Entscheidung.

  • Unser Haus

    Unser Haus

    Das Erhard Püchelgut

    Nummer: 4, A° 1654, Grundherrschaft:  Lichtenstein
    Haus Nr.: 4, ab 1807
    Arzloher Str. Nr.4, ab 1969, Hausname: „Leiml Binner“

    Das Haus um 1913

    1539    Erhard Püchel  „hat innen ein Gütle, hat höfen und Stadl an hansen Goppols und Margret Reuff hofreit“. Im alten Pfarr-Salbuch von 1543: „Erhard Puchels Gut und 2 Acker“. Im neuen Salbuch von 1558: „Erhart Püchel, gibt aus seinem gutt vnd j Viertel ackers an Hansen Taubers, vnnd Jorgen Pickels ackers, allen Zehenden grossen und kleinen.“

    Hanns Spieß

    Lucas Vogel

    Cunrad Wisenter, Schneider.

    1631 Georg Haller„der deßen Wittib genomen“.

    1646 Cuntz Leimberger

    „A° 1646 o 8 Trinit. ein Zehendhahnen bracht, sind 14 Junge, hat A° 1644 hühner gehabt, kein Zehenden geben, ist also ietzt noch ein huhn schuldig.“

    „Diese behausung ist A° 1676 den 13. Jan. ebenfalls in der nacht allerdings abgebronnen, wie des Hannß Pauly behausung, aber der neu erbaute Stadl ist noch errettet worden. Ist wieder erbaut worden A° 1677 von Hannß leimberger.“ 

    Auszug aus dem Salbuch

    (Archiv Ev, Luth. Pfarramt Pommelsbrunn Nr. 106)

    1677 Johannes Leimberger, „filiy“ (=Sohn).

    1704 Andreas Pöner

    1754 Georg Schaden, „1 Guet“.

    1791 Ernst Joh. Schad (-en)

    1818/19 Georg Schienhammer, Büttnermeister, geb. am 14. August 1784 – „Steuert 1836 für ein Gut und Büttnergewerbe“.

    Elisabeth Schienhammer, Witwe.

    1866/71 Joh. Georg Meier
    a) Wohnhaus mit Stall, ohne Grundmauer, Steinfachwerk, Holz, Ziegeldach.
    b) Stadel: Steinfachwerk, Strohdach.

    1885 Joh. Georg Schienhammer, Büttner, geb. am 26.Mai 1856, hat am 1. September 1885 das Bürgerrecht erhalten. Ehefrau: Margaret Schienhammer, geborene Übler, aus Hartmannshof.              

    Kinder:
    Anna, geb. am 3. Februar 1886.
    Babette, geb. am 19. Mai 1888.

    1910 Fritz Emmert, Straßenwärter, verheiratet mit Anna Schienhammer. Neubau des Hauses um 1912/13. Nun zweistockig und der Giebel in Nord/Süd-Richtung. Hopfengauben sind sichtbar.
    Der Dachstuhl ist ein freitragender Dachstuhl aus geschlagenen Balken, überwiegend mit Holznägeln verbunden.

    Um 1934 hat ein „kalter“ Blitz gegen die Mittagszeit eingeschlagen, ohne jedoch größeren Schaden am Haus anzurichten.                                      

    1955 Georg Emmert, Zimmerei, geb. 1911, gest. 1980.

    1980 Margarete Emmert, geborene Müller, Witwe.

    1997 Christine Lierl-Schnaible und Klaus Schnaible

    Pommelsbrunn – das untere Dorf. Es ist die Scheune und das Soppelhaus rechts davon zu sehen, links angeschnitten das Haus noch einstöckig mit Giebel in Ost/West-Richtung. (Postkarte von 1909).

    Das Haus um 1926

    Das Haus um 1926 mit Scheune und dem “Soppelhaus“.

    Um 1970, mit der Schreinerei in der Scheune

    Um 1970, mit der Schreinerei in der Scheune

    Dank geht an Dr. Otto Braun, der diese Informationen zusammengestellt hat.

  • Das ungute Gefühl auf einem Bike-Fest im Harz

    Das ungute Gefühl auf einem Bike-Fest im Harz

    – und was das mit Erfurt zu tun hat.

    Im Sommer waren meine Frau und ich auf einem Bike-Fest im Osten. In einem Museum, das über die Jahre hinweg nach der Wende privat und mit viel Liebe aufgebaut wurde, in dem auch alte DDR-Kuriosika aufbewahrt und erhalten werden.

    Viele Biker und auch andere waren zu Besuch, bei Bier, Bratwürsten und Steak – bestes Wetter.

    Als das berühmteste Werk dieser Bike-Schmiede vorgeführt wurde, ein selbst gebautes Panzer-Bike, meinten der Junior und der Senior eine Rede halten zu müssen und wollten eine gewisse Einleitung geben. Ihr gutes Recht.

    Aber da machte sich bei meiner Frau und mir ein unwohles Gefühl breit – was passiert da gerade?

    Wo sind wir hier – In Deutschland – oder in der ehemaligen DDR?

    Da war plötzlich von den Russen als gute Nachbarn die Rede, mit denen man immer so gut ausgekommen sei, da war die Rede von den Politikern, die uns in den Krieg treiben, von der überhandnehmenden Bürokratie – davon, dass es früher im Osten gar nicht so schlecht war, auch wenn nicht alles gut war.

    Da wurde Hallervordens Friedensappell abgespielt (Oh Didi, wo bist du denn falsch abgebogen!) und es wurden DDR-Friedenslieder gesungen – von allen gemeinsam. Es wurde allen Ernstes der propagandistische Mythos vom ‚Friedensstaat DDR‘ beschworen.

    Wir fühlten uns plötzlich fremd im eigenen Land

    Das war kein normales Motorradfest – es war ein Fest, das tief in einer bestimmten DDR-Nostalgie verwurzelt war.

    Weiß der Senior nichts vom Volksaufstand 1953, als russische Soldaten auf die Arbeiter schossen? Weiß er nichts mehr von der Stasi, dem ständigen Bücken vor den Verantwortlichen, dem Druck von oben, den Toten an der Mauer, den gefälschten Wahlen zu denen man hingetrieben wurde?

    Und warum wird gleichzeitig die heutige BRD so beschimpft? Die Politiker, das ganze System, die angeblich nicht vorhandene Demokratie? Hätte es dieses Museum, dieses Fest, diese Eigeninitiative an diesem Ort zu DDR Zeiten gegeben?
    Hier wird Freiheit gelebt, die es früher nie gegeben hätte – und vielen scheint das gar nicht bewusst zu sein!

    Was führen diese Menschen vor ihren Kindern für ein elendiges und trauriges Schauspiel auf?
    So kann man Kindern keinen Lebensmut beibringen – wenn man die eigene Unzufriedenheit und Wirklichkeitsverleugnung zum eigentlichen Lebensinhalt macht.
    Ist es das, was man den Kindern weitergeben will?
    Nein – Kinder brauchen Mut, Offenheit, einen positiven Blick auf die Zukunft – das muss man Kindern mitgeben, nicht die eigene Verzagtheit.

    „Auch wenn ich noch so sehr Angst davor habe, in eine Achterbahn oder ein Karussell einzusteigen – wenn mein Kind damit fahren will, mache ich es.
    Ich überwinde meine Angst, damit mein Kind sie nicht spürt und nicht mit ins Leben nimmt.“

    Das ist für mich Verantwortung.
    Nicht die eigenen Ängste zu vererben.
    Nicht den eigenen Schmerz weiterzureichen.
    Sondern Mut zu zeigen – auch wenn man ihn sich leiht.

    Ein paar Monate später: Erfurt. Und plötzlich verstehe ich noch mehr.

    Wir waren am letzten Wochenende dort – eine Stadt, so schön, dass man sie zweimal sieht: einmal mit den Augen, einmal im Herzen. Erfurt ist kein Zufall. Es ist gebauter Wille, politische Entscheidung, Förderung, Planung, Geld, Arbeit.

    Nach der Wende war hier viel kaputt. Heute ist es ein Wunder.
    Fachwerk, Plätze, Dom, Krämerbrücke – alles strahlt, alles erzählt, alles zeigt, was wir gemeinsam geschafft haben.

    Und dann fragt man sich:
    – Wie kann es sein, dass so viele schimpfen? Auf die BRD, auf die Politik, auf „den Westen“?
    – Wie kann man diesen Anblick sehen und trotzdem sagen, „früher war alles besser“?
    – Wer, wenn nicht wir alle zusammen, hat diese Stadt gerettet?
    – Wer hat die Mittel bereitgestellt?
    – Wer hat die Restaurierungen geplant, genehmigt, bezahlt?
    – Wer hat die Grundlagen für dieses neue Erfurt gelegt?

    Antwort: Unsere gemeinsame Republik.
    Die Politik, die Verwaltung, die Steuern von Ost und West.
    Der Wille, es besser zu machen.

    Wir jedenfalls waren stolz auf dieses neue Erfurt – und das auch wir (ein klitzekleines bisschen) dazu beigetragen haben, dass es wieder werden konnte.
    Denn auch Erfurt ist Teil unseres gemeinsamen Deutschlands, ebenso ein Stück Heimat.

    Das Jammern auf gepflasterten Marktplätzen, unter restaurierten Fachwerkhäusern, in sanierten Wohnungen, mit schnellen Netzen und sicherer Infrastruktur – das muss aufhören!

    Für Menschen, die DDR-Nostalgie bewusst zur Stimmungsmache missbrauchen, ist in einer demokratischen Zukunft kein Platz.

    Nachtrag

    Die BRD hatte viele Jahre gebraucht, bis der Nationalsozialismus wirklich aufgearbeitet wurde, Mitte der 60 Jahre, 20 Jahre nach dem Krieg wurde damit begonnen – und es hat mindestens 20 Jahre gedauert.
    Der Osten hat nicht mal das aufgearbeitet – da waren ja nur Sozialisten, die hatten sowieso nie was mit dem Nationalsozialismus zu tun. Und so wurde die Diktatur unter anderem Namen fortgeführt.

    Jetzt sind es 35 Jahre nach der Wende – es wird höchste Zeit für eine breite ehrliche Aufarbeitung der DDR-Zeit – allerhöchste Zeit.
    Die Wunden der Wende sind ja schon lange geleckt.

    Der Harz erinnerte mich daran, wie schnell man sich rückwärts träumt.
    Beides gehört zu diesem Land.
    Aber entscheiden müssen wir selbst, was wir weitergeben.
    Hoffnung oder Angst.
    Mut oder Bitterkeit.
    Ich weiß, wofür ich mich entscheide.

    Erfurt vor der Wende, für alle die sich nicht mehr erinnern können, Fotos von Peter Hilgers.

  • Kann sich die katholische Kirche eigentlich noch ändern?

    Kann sich die katholische Kirche eigentlich noch ändern?

    oder: Wie viele Katholiken gibt es eigentlich?

    Heute mal ein Text, den ich schon vor 14 Jahren geschrieben habe.

    Zwei Fragen, die ich mir immer wieder stelle (und für mich eigentlich beantwortet habe). Die erste Frage, weil sich so viele Gläubige in der Kirche diese Frage stellen. Nicht zuletzt haben ja etliche kath. Theologen und Theologinnen einem offenen Brief (http://www.memorandum-freiheit.de/) zu Veränderungen aufgerufen, und somit die These in den Raum geworfen, dass dies möglich sei.

    Und die zweite Frage: na ja, weil ich es nach katholischem Kirchenrecht schlicht für falsch halte von 25 Millionen Katholiken in Deutschland zu reden.

    Ich bin da (wieder mal) auf etwas Interessantes gestoßen: §1364 des katholischen Kirchenrechts:

    Can. 1364 — § 1. Der Apostat, der Häretiker oder der Schismatiker ziehen sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu, unbeschadet der Vorschrift des can. 194, § 1, n. 2; ein Kleriker kann außerdem mit den Strafen gemäß can. 1336, § 1, nn. 1, 2 und 3 belegt werden.

    Was genau Häresie ist, regelt:

    Can. 751 — Häresie nennt man die nach Empfang der Taufe erfolgte beharrliche Leugnung einer kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glaubenden Wahrheit oder einen beharrlichen Zweifel an einer solchen Glaubenswahrheit; Apostasie nennt man die Ablehnung des christlichen Glaubens im ganzen; Schisma nennt man die Verweigerung der Unterordnung unter den Papst oder der Gemeinschaft mit den diesem untergebenen Gliedern der Kirche.

    Die zu glaubenden Katholischen Wahrheiten sind besser bekannt unter „Dogma“, bzw. die Dogmen.

    Nun, die meisten kennen das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes, oder der Jungfräulichkeit Marias, bzw. ihrer Himmelfahrt.

    Es gibt aber etliche mehr, die frühen Kirchenfürsten waren da sehr eifrig und erfindungsreich. Um genau zu sein: Es gibt 245 Dogmen, zu finden hier:

    https://kath-zdw.ch/maria/245.dogmen.html

    Darunter sind auch einige sehr drollige, es lohnt sich, das zumindest mal grob durchzusehen.
    Weitere Quelle: Josef Neuner – Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, neubearbeitet von Karl Rahner und Karl-Heinz Weger, Regensburg 1971, 13. Auflage 1992, mit Imprimatur.

    Tja, und nach Can. 1364 in Verbindung mit Can. 751 ist somit jeder sofort exkommuniziert, der auch nur an einem Dogma zweifelt.

    Die sofortige Exkommunikation erklärt sich in:

    Can. 1314 — Die Strafe ist meistens eine Spruchstrafe, so daß sie den Schuldigen erst dann trifft, wenn sie verhängt ist; sie ist jedoch, wenn das Strafgesetz oder das Strafgebot dies ausdrücklich festlegt, eine Tatstrafe, so daß sie von selbst durch Begehen der Straftat eintritt.

    So, kurz innehalten: Die Strafe tritt also von selbst, ohne extra Verkündung ein, sobald man an auch nur einem Dogma zweifelt. Nein, das ist keine Ironie, das ist gültiges katholisches Kirchenrecht, zu finden hier:

    http://www.codex-iuris-canonici.de/indexdt.htm

    Ach ja, noch eine kleine Ergänzung, aus https://www.katholisch.de/lexikon/977-exkommunikation

    Sofern es sich jedoch um die Straftat der Apostasie, der Häresie oder des Schismas handelt, ist der Exkommunizierte auch nicht mehr Mitglied der Kirche im vollen Sinne (vgl. auch die Enzyklika Mystici corporis Pius XII.), bis er wieder losgesprochen ist (oder verstorben).

    Kommen wir nun zu einigen sich ergebenden Implikationen.

    Sagen wir mal, als Theologieprofessor möchte ich mich für mehr Demokratie in meiner Kirche einsetzen.

    Da kommt nun Dogma „136. Christus hat seiner Kirche eine hierarchische Verfassung gegeben.“ ins Spiel. Dieser Professor ist in diesem Moment schon wegen seines Zweifels an der hierarchischen Ordnung exkommuniziert, kann sich also an der weiteren Diskussion über dieses Thema schon gar nicht mehr beteiligen.

    Ein anderer Katholik meint, es müsse die Ökumene mehr gefördert werden. Protestanten erreichen schließlich auch das Himmelsreich, nur auf anderen Wegen. Tja, Pech gehabt. Hierzu gibt es Dogma „153. Die Zugehörigkeit zur Kirche ist für alle Menschen heilsnotwendig.“

    Dieser Herr hat also ebenfalls keine Chance. Die Protestanten sind nun mal nicht Mitglied der Kirche. Und daran kann und darf kein Zweifel bestehen. So ist natürlich auch klar, dass außer den Katholiken keiner die Chance aufs Paradies hat.

    Ob die Eucharistie zu Gedenken Jesu gefeiert wird, oder hier wirklich Brot zu Fleisch wird, da gibt’s auch keine erlaubten Zweifel: „179. In der Eucharistie ist der Leib und das Blut Jesu Christi wahrhaft, wirklich und wesenhaft gegenwärtig.“

    Meine persönliche Hitliste der drolligsten Dogmen habe ich am Ende aufgeführt. Nach meiner Ansicht gibt es so gut wie keinen einzigen Katholiken, der nicht zumindest an einem dieser Dogmen zweifelt. Wer demnach behauptet, die katholische Kirche in Deutschland habe Millionen Mitglieder redet schlicht Blödsinn.

    Diese Leute zahlen ihre Kirchensteuer wohl nur noch als „freiwillige Spende“. Eigentlich müsste eine Bestätigung dieses Sachverhaltes durch den Priester schon ausreichen, um die Kirchensteuerzahlung zu verweigern. Man muss nur dem Priester gegenüber deutlich machen, das man an dieses oder jenes Dogma nicht glaube. Einen extra Austritt braucht man dann wohl auch nicht zu erklären.

    Also nochmals: Jeder der an der Verfassung der Kirche etwas ändern will, oder versucht sie auch nur ein bisschen in die Moderne zu verschieben, verstößt sofort gegen kath. Kirchenrecht und ist somit exkommuniziert und damit nicht mehr an der weiteren Diskussion beteiligt.

    Kein Papst kann also etwas an der Hierarchie ändern, kein Bischof die Ökumene gutheißen, mit der Begründung auch der Protestantismus sei ein Glaube der zum Heil führe.

    PS: Sicher werdet ihr bemerkt haben, dass dieses Kirchenrecht in der Praxis nur dann eine Rolle spielt, wenn man einen aufmüpfigen Theologen maßregeln will.
    Gemeinschaften aber, die Recht ganz nach Gusto der Herrschenden anwenden nennt man zu Recht nicht Rechtsstaat, sondern Feudalherrschaft oder Diktatur.

    Hitliste der drolligsten Dogmen:

    • 54. Der erste Mensch wurde von Gott erschaffen.
    • 59. Die Stammeltern waren vor dem Sündenfall mit der heiligmachenden Gnade ausgestattet.
    • 60. Die Stammeltern sündigten durch Übertretung des göttlichen Prüfgebotes schwer.
    • 61. Die Stammeltern verloren durch die Sünde die heiligmachende Gnade und zogen sich den Zorn und Unwillen Gottes zu.
    • 62. Die Stammeltern verfielen dem Tod und der Herrschaft des Teufels.
    • 63. Die Sünde Adams ist durch Abstammung, nicht durch Nachahmung auf alle seine Nachkommen übergegangen.
    • 64. Die Erbsünde wird durch natürliche Zeugung fortgepflanzt.
      (wie ist das bei In-Vitro-Fertilisation?)
    • 67. Gott erschuf am Anfang der Zeit geistige Wesen (Engel) aus nichts.
    • 68. Die Natur der Engel ist geistig.
    • 69. Die bösen Geister (Dämonen) wurden von Gott gut erschaffen; sie wurden durch ihre eigene Schuld böse.
    • 70. Die sekundäre Aufgabe der guten Engel ist der Schutz der Menschen und die Sorge für ihr Heil.
    • 71. Der Teufel besitzt auf Grund der Sünde Adams eine gewisse Herrschaft über die Menschen.
    • 99. Maria wurde ohne Makel der Erbsünde empfangen.
      (siehe auch hier: https://nachdenkzone.de/2025/10/29/wann-das-leben-beginnt/)
    • 100. Maria war Jungfrau vor, in und nach der Geburt.
    • 101. Maria empfing ohne Mitwirkung eines Mannes vom Hl. Geist.
    • 102. Maria gebar ohne Verletzung ihrer jungfräulichen Unversehrtheit.
    • 103. Maria lebte auch nach der Geburt Jesu jungfräulich.
    • 104. Maria wurde mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.
    • 115. Gott hat durch seinen ewigen Willensratschluss bestimmte Menschen zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt.
    • 116. Gott hat durch seinen ewigen Willensratschluss bestimmte Menschen wegen ihrer vorhergesehenen Sünden zur ewigen Verwerfung vorherbestimmt.
    • 132. Der Gerechte erwirbt sich durch seine guten Werke wahrhaft Anspruch auf übernatürlichen Lohn von Seiten Gottes.
      (Ganz drollig: gibt’s da ne Art Konto?)
    • 135. Christus hat die Kirche gestiftet, um sein Erlösungswerk für alle Zeiten fortzuführen.
    • 136. Christus hat seiner Kirche eine hierarchische Verfassung gegeben.
    • 139. Nach der Anordnung Christi soll Petrus im Primat über die gesamte Kirche für alle Zeiten Nachfolger haben.
    • 140. Die Nachfolger des Petrus im Primat sind die römischen Bischöfe.
    • 141. Der Papst besitzt die volle und oberste Jurisdiktionsgewalt über die gesamte Kirche nicht bloß in Sachen des Glaubens und der Sitten, sondern auch in der Kirchenzucht und der Regierung der Kirche.
    • 142. Der Papst ist, wenn er ex cathedra spricht, unfehlbar.
    • 153. Die Zugehörigkeit zur Kirche ist für alle Menschen heilsnotwendig.
    • 154. Es ist erlaubt und nützlich, die Heiligen im Himmel zu verehren und sie um Fürbitte anzurufen.
    • 155. Es ist erlaubt und nützlich, die Reliquien der Heiligen zu verehren.
    • 156. Es ist erlaubt und nützlich, die Bilder der Heiligen zu verehren.
    • 157. Die lebenden Gläubigen können den Seelen im Fegfeuer durch ihre Fürbitten (Suffragien) zu Hilfe kommen.
    • 179. In der Eucharistie ist der Leib und das Blut Jesu Christi wahrhaft, wirklich und wesenhaft gegenwärtig.
    • 196. Die Kirche hat von Christus die Gewalt empfangen, die nach der Taufe begangenen Sünden nachzulassen.
    • 197. Durch die kirchliche Absolution werden die Sünden wahrhaft und unmittelbar nachgelassen.
    • 198. Die kirchliche Sündenvergebungsgewalt erstreckt sich auf alle Sünden ohne Ausnahme.
    • 199. Die Ausübung der kirchlichen Sündenvergebungsgewalt ist ein richterlicher Akt.
    • 215. Die Kirche besitzt die Gewalt, Ablässe zu verleihen.
    • 216. Der Gebrauch der Ablässe ist für die Gläubigen nützlich und heilsam.
    • 239. Die Seelen derer, die im Zustand der persönlichen schweren Sünde sterben, gehen in die Hölle ein.
    • 240. Die Höllenstrafe dauert in alle Ewigkeit.
    • 242. Am Ende der Welt wird Christus in Herrlichkeit wiederkommen zum Gericht.
    • 243. Alle Toten werden am Jüngsten Tage mit ihren Leibern wieder auferstehen.
    • 244. Die Toten werden mit (numerisch) demselben Leib auferstehen, den sie auf Erden getragen haben.

  • Wann das Leben beginnt – und andere „Ewige Wahrheiten©“

    Wann das Leben beginnt – und andere „Ewige Wahrheiten©“

    oder: Wie Theologie zur Biologie wurde, warum Gott der größte Abtreiber wäre, und weshalb Mitmenschlichkeit mehr hilft als Dogmen.

    Gestern habe ich das neueste Video auf dem Kanal von Hannes Kreschel geschaut – er hat einige Leute, die am „Marsch des Lebens“ in Berlin teilgenommen haben, interviewt und Eindrücke gesammelt.

    Wann das Leben beginnt und andere „Ewige Wahrheiten©“

    Ja, ja – schon klar – das Leben beginnt schon im ersten Moment der Zeugung. Ein Verständnis der Biologie, wie sie insbesondere konservative katholische Christen vertreten.

    Sagt Rom ja auch schon immer so – da ist die Haltung der Kirche ganz klar. Und sie kann sich dabei auf ihre „Ewigen Wahrheiten©“ berufen.

    Aber ist das wirklich so? Ist das schon immer die Stimme der Kirche? Nun ja, wie so häufig in theologischen Fragen ist das mal wieder etwas kompliziert. Denn diese hier geäußerte Wahrheit vertritt die Kirche erst seit 1854. Vorher gab es dieses Problem mit der Abtreibung gar nicht.

    Bis dahin galt die Lehre des großen Kirchenlehrers Thomas von Aquin, der sich wiederum auf Aristoteles berief:
    Da wird nämlich der männliche Fötus nach etwa 40 Tagen (ca. 6 Wochen), und der weibliche nach etwa 80–90 Tagen (ca. 12–13 Wochen) „beseelt“.

    Klar, Sünde war die Abtreibung schon auch – aber eben kein Mord. Es war keine Todsünde.

    Und Achtung, jetzt wird es etwas schräg. Lange wurde in der Kirche diskutiert, wie denn ein mit der Erbsünde behafteter Mensch einen Gott gebären kann – also Maria den Jesus.

    Nun, das geht natürlich gar nicht – wenn schon göttlich muss alles göttlich sein, der ganze Prozess.

    Also wurde 1854 das Dogma der „unbefleckten Empfängnis Marias“ ausgerufen. Und nein, es geht nicht um die jungfräuliche Geburt. Das verwechseln viele.

    Das geht darum, dass die Gottesgebärerin Maria selbst ohne Erbsünde auf die Welt kam.

    Und da drängte sich natürlich gleich die nächste Frage auf: Und dann war dieser gerade frisch in Marias Leib gezeugte Gott – erstmal nur ein Stück Fleisch, völlig unbeseelt?

    Nun das geht natürlich gar … hatten wir schon.

    Ein „fleischlicher, unbeseelter Gott“ wäre kein wahrer Gott. Und genau an dieser Stelle und aus diesem Grund war plötzlich 1.854 Jahre nach Christi Geburt der Beginn des Lebens auf die Zeugung verlegt worden. Und eine neue „Ewige Wahrheit©“.

    Also mit Biologie hat das alles gar nichts zu tun.

    Aber wer treibt denn nun so alles ab?

    Na ja, in dem Video kam auch eine Ärztin zu Wort. Und da sollte man doch meinen, die kennt sich in der Biologie so richtig aus. Gelernt hat sie sicher viel. Aber wenn die Religion ins Spiel kommt, dann zählen alle gelernten Fakten nichts mehr. Nur Religion kann so das Hirn verdrehen.

    Fakt ist: ca. 50% aller befruchteten Eizellen gehen schon in den ersten 14 Tagen wieder ab – und davon merken Frauen zumeist nichts.

    Leider kommt es auch danach noch zu Abgängen, die für die Frauen sehr belastend und traumatisch sein können. Aber das ist Biologie.
    Bei der Befruchtung der Eizelle und den anschließenden Zellteilungen kommt es zu Fehlern. Gendefekte, Zellteilungsfehler, unzureichende Einnistung, hormonelle Störungen – ganz natürliche Prozesse.
    Das passiert – denn der Mensch ist eben keine Maschine.

    Aber: Wie kann das mit der Lehre, das Gott das Leben von Anfang an will, in Einklang gebracht werden, wenn Gott selbst für 50% der Abtreibungen verantwortlich ist?

    Das ist ein innerer Widerspruch:
    Entweder Gott schafft Leben, um es unmittelbar wieder zu vernichten (was seine Güte in Frage stellt), oder die kirchliche Definition von „Leben ab Empfängnis“ ist biologisch und theologisch unsinnig, weil sie einen natürlichen Selektionsmechanismus als „Mord“ bewerten müsste, den Gott selbst eingerichtet hat.

    Wenn nach kirchlicher Lehre jedes befruchtete Ei ein von Gott gewolltes Leben ist, dann müsste Gott nach denselben Maßstäben der größte „Abtreibungsakteur“ des Universums sein.
    Das zeigt: Entweder ist das Dogma biologisch unsinnig, oder theologisch widersprüchlich.
    Denn eine göttliche Schöpfung, die ihre eigenen Geschöpfe sofort wieder auslöscht, kann schwerlich als Beweis für die Heiligkeit jedes befruchteten Eis dienen.

    Das Thema Transgender kam natürlich auch zur Sprache, kann ja nicht anders sein …

    Und hier war klar: Es gibt nur Mann und Frau, alles andere ist als Krankheit zu definieren, so die meistgehörte Aussage dazu in dem Video.

    Es ist mir ein Rätsel, und es wird mir auf ewig eines sein, wie Menschen mit so wenig Wissen und Bildung so klare und eindeutige Entscheidungen herbeiführen wollen.

    Fakt ist auch hier in der Biologie: Es gibt nicht nur xx oder xy Chromosomen, sondern auch XXY, XYY, XO, mosaikische Chromosomensätze usw.

    Die menschliche Natur ist kein Schwarz/Weiß – sie ist ein bunter Regenbogen, und die Natur bringt dank der Evolution vieles hervor.

    Und wer so geboren ist, leidet an keiner Krankheit – er ist tatsächlich einfach nur anders.

    Wenn man an einen allmächtigen Schöpfer glaubt, der „nichts ohne Grund“ erschafft, dann kann man biologische Varianten oder Fehlbildungen nicht gleichzeitig als „von Gott gemacht“ und als „außerhalb seines Plans“ erklären.

    Und um das Klarzustellen: Ich stehe der Idee einer völligen „Selbstdefinition des Geschlechts“ kritisch gegenüber.
    Für mich gibt es immer eine biologische Grundlage – auch bei genetischen Besonderheiten -, die medizinisch relevant bleibt. Bei Vorsorge oder Diagnostik ist entscheidend, ob jemand eine Prostata oder Brustdrüsen hat, nicht welches Geschlecht er subjektiv empfindet.

    Ich halte auch die Pubertät für eine Phase der Suche und Unsicherheit, in der Identität, Sexualität und Selbstbild noch nicht gefestigt sind.
    Viele Jugendliche experimentieren in dieser Zeit, fühlen sich zum eigenen Geschlecht hingezogen oder identifizieren sich anders, bevor sie später ihre eigene Geschlechtlichkeit finden.
    Darum lehne ich medizinische Eingriffe oder Hormonbehandlungen während der Pubertät ab. Man sollte jungen Menschen Zeit geben, sich selbst zu entdecken, bevor man medizinisch in einen Prozess eingreift, der noch in Entwicklung ist.

    Jetzt hängt der Text so in der Luft, da braucht es noch einen Schlusssatz

    Bevor man Entscheidungen herbeiführen will, die andere betreffen (man selber kann ja handeln wie man will) sollte man sich besinnen. Insbesondere auf biologische Fakten. Sich informieren, erst einmal eine Wissensbasis schaffen. Und die kann nicht in der Theologie liegen.

    Zu oft hat die Theologie erst hinterher begründet was sie vorher mit Macht wollte. Und unbedingt sollte man mit den Betroffenen selbst sprechen, bevor man über ihre Köpfe hinweg entscheiden möchte – Mitmenschlichkeit bleibt dabei das oberste Credo – auch bei sehr konservativen Christen.

    Vielleicht ist das die eigentliche Tragik der Institution Kirche– dass sie in ihrer Angst vor Irrtum den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat.
    Ewig ist in der Kirche nur die Behauptung, dass sie sich nie geirrt hat.

  • Über mich

    Über mich

    Ich bin Klaus Schnaible, Jahrgang 1960, verheiratet und habe gemeinsam mit meiner Frau sieben Kinder großgezogen. Nach einem langen Berufsleben in der Informationstechnologie, zuletzt in leitender Position, beginnt für mich nun eine ruhigere Lebensphase – mit mehr Zeit für das, was mich schon immer interessiert hat: das Denken, das Hinterfragen und das Beobachten.

    Ich bin Atheist und beschäftige mich seit vielen Jahren mit den Themen Kirche und Religion, ihrer Geschichte und ihrem Einfluss auf unsere Gesellschaft. Ebenso faszinieren mich historische Entwicklungen, gesellschaftliche Strukturen und die Art, wie sich Menschen und Werte im Lauf der Zeit verändern.

    Ich mag sachliche, ruhige Diskussionen und halte wenig von Extrempositionen – mit Ausnahme meiner klaren Haltung zur Religion und meinem persönlichen Pazifismus. In der Nachdenkzone möchte ich Gedanken teilen, die nicht in Schlagzeilen passen: Überzeugungen, Zweifel, Beobachtungen – und manchmal einfach das Staunen über Zusammenhänge, die im Alltag leicht verloren gehen.

    Zu meinen Hobbys gehören Lesen (besonders zu geschichtlichen und religionskritischen Themen), Karl May, Gitarre spielen, Motorradfahren, Comics und das Bauen mit LEGO, wo Technik und Kreativität zusammenfinden. Außerdem engagiere ich mich in unserem Heimatmuseum, das mir die Möglichkeit gibt, Geschichte nicht nur zu bewahren, sondern lebendig zu erzählen.

    Und ja, ich nutze ChatGPT, aber nicht um die Texte zu schreiben, sondern um meine Gedanken besser zu formulieren und erweiternde Aspekte zu suchen – also als Werkzeug.

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